GUTACHTEN
Großes Verständnis für Pädophilie im KinderschutzbundVon Clauda van Laak
Ein Fünfjähriger steht verzweifelt in einem Tunnel (imago/Roland Mühlanger)
Der Vorwurf war erheblich: Pädophile Netzwerke im Kinderschutzbund (KSB). Eine Studie in Reaktion darauf ergab nun nicht
weniger Erschreckendes: Es gab "einzelne Missbrauchsfälle" und offenbar unterstützte der ehemalige KSB-Präsident einen pädophilenfreundlichen Arbeitskreis.
"Lobby für Kinder - Wir setzen uns für die Rechte aller Kinder und Jugendlichen auf gewaltfreies Aufwachsen und Beteiligung ein." So lautet das Leitbild des Deutschen Kinderschutzbundes. Mit
etwa 5000 Hauptamtlichen und 10.000 Ehrenamtlichen ist dieser Verein einer der großen in Deutschland – mit einer ganz besonderen Verantwortung, wie Vizepräsidentin Sabine Andresen
betont:"Hat der Kinderschutzbund nicht eine besondere politisch-ethische pädagogische
Aufgabe und Expertise mit Blick auf sexuelle Gewalt? - Und wir sagen: Ja, wir haben eine besondere Verpflichtung. Und der Bericht zeigt, dass wir dieser Verpflichtung in bestimmten Punkten,
in bestimmten Aspekten nicht gerecht geworden sind."
Erstellt hat das Gutachten das Göttinger Institut für Demokratieforschung, jene Institution, die sich auch mit den Grünen und ihren Verfehlungen in punkto Pädophilie beschäftigt hat. Es geht um die Frage: Hat sich der Kinderschutzbund von Lobbyvereinen der Pädophilen beeinflussen lassen, inwiefern fanden ihre Forderungen – zum Beispiel, Sex zwischen Kindern und Erwachsenen zu erlauben – einen Widerhall? Die Autorin des Gutachtens Katharina Trittel mit einem Fazit: "Insgesamt kann man sagen, dass durchaus inhaltliche Positionen von Funktionsträgern im Kinderschutzbund Anschlusstellen für den Pädophilie-Diskurs offeriert haben, dass die Debatte, Sex zwischen Erwachsenen und Kindern straffrei zu stellen durchaus auch Relevanz für den Kinderschutzbund gehabt hat in den 80ern. Allerdings muss man auch sagen, dass Beschlüsse, die Sex zwischen Kindern bejaht hätten, nie gefasst wurden im Kinderschutzbund."
"Nicht mehr die unbedingte Parteilichkeit für das Kind im Vordergrund"
Allerdings stellte der Kinderschutzbund in den 80er Jahren nicht immer die Bedürfnisse der Kinder in den Mittelpunkt seiner Arbeit. Für pädophile Täter wurde Verständnis aufgebracht: Sie seien auch nur ein Opfer der gesellschaftlichen Verhältnisse, müssten therapiert und nicht bestraft werden.
"In dieser Perspektive stand nicht mehr die unbedingte Parteilichkeit für das Kind im Vordergrund sondern man setzte sich vor allem für problemangemessene Hilfe für die Täter ein."
Und diese politische Position stellte gleichzeitig ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für die Therapeuten dar, die unter dem Dach des Kinderschutzbundes arbeiteten. Der Verein hatte noch ein zweites Interesse daran, pädophile Täter nicht vor Gericht zu bringen: Kamen doch verhängte Bußgelder häufig dem Kinderschutzbund zugute. Die Sozialwissenschaftlerin Katharina Trittel erklärt:
"Wenn ein Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs eingestellt oder gar nicht erst eröffnet wurde, wurde das Geld häufig inhaltsnah vergeben, dass heißt es floss in die Arbeit mit Betroffenen, also auch zum KInderschutzbund, das heißt das Interesse war nicht nur fachlicher Art, sondern fusste auch auf einem monetären Interesse."
Der Bericht stellt außerdem klar, dass es Fälle von sexuellem Missbrauch in Einrichtungen des Kinderschutzbundes gab. Konkrete Zahlen werden nicht genannt. Präsident Heinz Hilgers wandte sich direkt an die Opfer, bat um Entschuldung und versprach:
"Ich sichere Ihnen zu: Wir werden nicht bürokratisch prüfen, was war da, sondern Hilfe und Unterstützung wird im Vordergrund stehen."
Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes Wilhelm Rörig, begrüßte es, dass sich der Kinderschutzbund mit seiner Vergangenheit auseinandergesetzt und ein entsprechendes Gutachten in Auftrag gegeben hat. Gleichzeitig mahnte er: die Aufarbeitung sei damit nicht erledigt:
"Was passiert, wenn Aufarbietung vreschleppt wird: Das kriegen wir gerade live mit in Oberhambach, in der Odenwaldschule. Wenn es dort jetzt tatsächlich zum 'Aus' der Odenwaldschule kommen sollte, wird das auch damit zu tun haben, dass Betroffene sexualisierter Gewalt dort nicht ernst genommen wurden und dass die Aufarbeitung verschleppt wurde."
Ausgangspunkt für das Gutachten war die umstrittene Rolle des langjährigen Präsidenten des Kinderschutzbundes, Walter Bärsch. Saß dieser doch gleichzeitig im Kuratorium der Arbeitsgemeinschaft Humane Sexualität, ein Verein, der sich in den 80er Jahren für eine weitreichende Liberalisierung und Straffreiheit von Sex zwischen Erwachsenen und Kindern einsetzte. Man wolle sich mit der Bewertung des früheren Präsidenten Zeit lassen, so der Kinderschutzbund. Im Gutachten heißt es dazu: "Ein zweifelsohne existierender Aktenordner zur Arbeitsgemeinschaft Humane Sexualität sei in der Bundesgeschäftsstelle nicht mehr auffindbar gewesen."