Die Geschichte von Anna, die uns per Mail kontaktierte:
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
Ihre Website finde ich sehr interessant, vor allem, weil sie um Objektivität bemüht ist und wirkliche Informationen bietet.
Zwar habe ich durch Kündigung einem für mich unerträglichen Zustand ein Ende bereitet, aber nach wie vor quäle ich mich mit der Frage, ob alles an mir liegt (was sich dann im nächsten Job ja
wiederholen könnte), oder ob die Situation doch zumindest als belastend zu beurteilen ist. Alleine den Umstand, dass mich diese Frage auch jetzt noch so sehr beschäftigt, finde ich
beängstigend.
Einige Fakten aus meinem letzten Job:
1. Seit Mitte vorigen Jahres hatte ich einen Job als Büroangestellte, gleichrangig unter 7 weiteren Kolleginnen (die meisten weitaus jünger). Mein Anfangsgehalt entsprach exakt
dem derjenigen Kollegin, die bereits seit sehr langer Zeit dort angestellt war, die anderen Kolleginnen (zwar jünger, aber alle auch schon mindestens 10 Jahre im Betrieb) verdienten weniger (und
wussten dies auch). Ich war davor immer in leitenden Positionen tätig. Aus diesen beiden Gründen gab es ich mich bewusst sehr zurückhaltend, hilfsbereit, aber nicht aufdringlich.
2. Vom ersten Tag an musste ich mir sozusagen Arbeit suchen, da keiner der Vorgesetzten mir irgendeine Tätigkeit übertrug. Die einzige Aufgabe, die mir definitiv zugewiesen
wurde, erschöpfte sich in einem geringfügigen Ausmaß von max. 1 Tag pro Woche (ich hatte eine 40-Stunden-Anstellung).
3. Das Arbeitsklima war für mich zumindest ungewöhnlich: ständige lautstarke Beschwerden der Kolleginnen (Großraumbüro mit mehreren Angestellten - Vorgesetzte hatten ihre Büros
in einem ganz anderen Trakt) über die Arbeit, Aufträge von Vorgesetzten, Telefonanrufen von Kunden und dgl. Zumindest bei einer Kollegin konnte ich unvermeidbarerweise feststellen, dass sie
zumindest ein Drittel des Arbeitstages völlig offen mit - sehr laut geführten - privaten Telefonaten, privaten Internetrecherchen und dergleichen füllte.
4. Dadurch, dass es keine klaren Zuständigkeiten und wenig bis keine selbständig auszuführenden Tätigkeiten gab, war der Arbeitsanfall verschieden. Wurden von den Vorgesetzten
viele Arbeitsaufträge erteilt (wofür aber immer alle Kolleginnen gleichermaßen zuständig waren, sodass sich niemand wirklich verantwortlich fühlte), war manchmal viel zu tun. Andernfalls gab es
enorme Stehzeiten, in denen schlichtweg keine Arbeit auffindbar war, sodass man quasi dazu verdammt war, privat im Internet zu surfen. Mir war es dabei furchtbar langweilig. Die Kolleginnen
beklagten sich aber auch in diesen Zeiten über die stressige Arbeit.
5. Seitens der Vorgesetzten erfuhr ich bis zum Dienstzeugnis bei Selbstkündigung nie ein Feedback. Das einzige Feedback von Nicht-Kolleginnen, das mir zuteil wurde, stammte von
einem langjährigen Angestellten, der sozusagen die rechte Hand des Chefs war, der meine Arbeit überaus schätzte und sich ungewöhnlich oft für die "unkomplizierte" und "produktive" Zusammenarbeit
bedankte (aus diesem Grund blieb auch über die Probezeit hinaus in der Hoffnung, etwas ändern zu können). Das Feedback von den Kolleginnen - zuerst nur von einer (mit der ich unmittelbar
zusammenarbeitete), später von mehreren - war äußerst negativ.
6. Verhalten der Kollegin(nen):
Wie gesagt, anfangs war es nur meine unmittelbare Schreibtischnachbarin:
6.1. Täglich - manchmal mehrmals tägliche - Kritik an meiner Arbeitsweise in sehr herrischem, lautem, herablassendem Ton. Argument: Wir machen
das und jenes hier so! Bei uns entscheiden dies und jenes die Vorgesetzten! usw. Der einzige Nicht-Kollege, der mir Feedback gab, meinte allerdings genau das Gegenteil und ermutigte mich sogar,
neue Ideen einzubringen.
6.2. Ohne dass mir büroübliche Usancen erläutert worden wären, harsche Kritik, wenn ich diese (die ich ja nicht kennen konnte) nicht befolgte. Das ging soweit, dass mir
vorgeworfen wurde, Post its falsch zu beschriften(!), während die Adressaten besagter Post its (die Vorgesetzten) zumindest mir gegenüber keine Kritik über Unverständlichkeit oder dgl.
äußerten.
6.3. Anfangs war ich noch irgendwie um außerbetriebliche Gespräche bemüht. Reaktion egal auf welches Thema ich brachte: "Na, das interessiert mich aber nicht!" von einem
herablassenden Lachen begleitet.
6.4. Die Kollegin machte sich bei einem - wiederum sehr laut geführten und somit für alle Mitarbeiter hörbaren - privaten Telefonat(mit Freund, Familie oder sonst wem)
klar erkennbar über mich lustig.
6.5. Wenn die Kollegin mit anderen Kolleginnen telefonierte, begann sie manchmal zu flüstern (hat vermutlich nichts zu bedeuten, nach Obigem fühlte ich mich aber betroffen).
6.6. Die Kolleginnen trafen sich regelmäßig ca. wöchentlich privat vor dem Dienst zum Frühstück. Ich wurde in der ganzen Zeit niemals auch nur darauf angesprochen. (Das kann aber
im Altersunterschied begründet sein, wobei ich in anderen Büros auch mit jüngeren Kolleginnen immer sehr gut auskam und bis heute andauernde Freundschaften pflege.)
6.7. Anfangs sprachen die anderen Kolleginnen sehr wohl mit mir und gab es auch kleine private Kontakte, zunehmend hörte sich jeglicher Kontakt auf, und gab es nur noch - wenn überhaupt -
einsilbige Antworten, die kein weiteres Gespräch mehr zuließen. (Dies könnte aber auch an mir liegen, da ich mich zunehmend mehr zurückzog).
6.8. Nachdem ich gekündigt habe, wurden Gespräche von den Kolleginnen wieder aufgenommen: Ich wurde mehrmals gefragt, wann ich meinen Resturlaub konsumiere.
7. 3 Wochen vor Ende des Dienstverhältnisses wurde mir - vom Chef - ein Dienstzeugnis in die Hand gedrückt, welches jedenfalls sehr lieblos formuliert ist und in welchem nur
ein Bruchteil meiner Tätigkeiten (und zwar jene, die auch leicht von einer Anfängerin in dieser Branche durchgeführt werden könnten) angeführt sind.
8. Mein Verhalten war leider die ganze Zeit über sehr passiv. Bemüht, mich ja nicht "aufzuspielen", setzte ich keine Grenzen gegen tatsächliche oder zumindest von mir so
empfundene Kränkungen. Jedes Mal, wenn vor allem die als "Alpha-Tier" wirkende Kollegin mich um Hilfe bat (was sogar relativ oft vorkam), war ich froh, ihr behilflich sein zu
können, und hoffte auf ein besseres Betriebsklima. Diese Hoffnung erfüllte sich allerdings dann doch nicht.
Ich habe versucht, einfach nur Gegebenheiten zu schildern. Auch wenn mir bewusst ist, dass diese immer nur meine persönliche Wahrnehmung wiedergeben können, versuchte ich, diese so gut es ging,
von Empfindungen und Wertungen frei zu halten.
Ist das einfach normaler Büroalltag, dem mit ein bisschen Selbstbewusstsein und Gegenwehr schon zu begegnen ist, oder könnte man hier schon von einem Nährboden für Mobbing sprechen?
Auch wenn die Situation nunmehr vorbei ist (und ich letztendlich als persona non grata das Büro verließ), lässt mich diese Frage, die ja auch eine Frage zu meiner
psychisch-geistigen Gesundheit darstellt, nicht los.
Über eine ehrliche Antwort würde ich mich freuen.
Mit besten Grüßen XXX
Sehr geehrte Anna!
Wenn ich Ihre Zeilen lesen, streift mich die Erleichterung, dass Sie dieses Arbeitsumfeld verlassen haben, wenngleich ich zu wissen glaube, dass Sie sich diese
Arbeitsstelle auch anders vorgestellt haben, und gerne länger geblieben wären, wäre das Firmensystem anders gewesen...
Das, was Sie schildern, ist ein ziemlich guter Mobbingverlauf, für mich stellt sich das eindeutig so dar.
Es zeigt sich für mich bei Ihrer Schilderung auch die Bestätigung, dass Mobbing sehr oft nichts mit der Person an sich zu tun hat, oder mit dessen Persönlichkeit oder "Fehlern". Es ist schon lange bewiesen, dass es Mobbing NUR in Firmen gibt, die ein mobbingduldendes oder -förderndes Firmensystem haben, woraus sich der Schluss ableitet, dass pers. Eigenschaften/Charakter/etc. eigentlich keine oder kaum eine Rolle spielen.
Das ist einerseits oft sehr entlastend und tröstlich, als Betroffener, das zu wissen, andererseits auch wieder schwierig, weil dadurch auch erkennbar ist = wenn man nicht die "Ursache" ist, hat man auch keine Möglichkeit der Behebung (wenn das Firmen-system nicht mitspielt - und bei mobbingduldenden oder -fördernden Firmen spielt
es naturgemäß NICHT mit).
Die organisatorischen/firmenmäßigen Ursachen für das Mobbing (m. Einschätzung nach):
Höheres Gehaltals die, die schon länger dort sind (Neidfaktor) - von vorneherein schon "angeeckt" (OHNE Ihr Verschulden)
Ganz typisch für schlechte Firmen:
Wenn kein Aufgabenbereich im Arbeitsvertrag definiert ist (fördert das Hin- und Hergeschubse, das Ausgrenzen/Nicht- oder Falschzuteilen und auch die Verantwortlich-keit bei Nichterledigung/Fehlern)
Ausgrenzung durch ArbeitsNICHTvergabe
Ausgrenzung aus betrieblicher Kommunikation
Jemanden NIE EIN Feedback zu geben, ist im Übrigen auch Führungsfehlverhalten und fällt unter Mobbing.
Der Mitarbeiter hat ein Recht darauf zu erfahren, wie es "um ihn steht".
Respektloser abwertender Umgangston, Kritik für Dinge, die nicht "wichtig" sind (Post it.. etc..), das ist schon "Fehlersuche mit Denunziationswunsch dabei", Abschneiden der außerbetrieblichen Kommunikation ist ebenso Mobbing, denn wenn es betriebsüblich ist, dass man sich zB gemeinsam vorher trifft, und einzelne Personen ausgrenzt, herablassend belächelt, oder Anknüpfungsversuche lächerlich stellt, ist das Ausüben psychischer Gewalt.
Ausgrenzung und Ignorieren ist KEIN Kavaliersdelikt, sondern schweres Fehlverhalten.
Sich über jemanden lustig zu machen und zu WISSEN, dass er es auch noch hört, ist (für mich) seelische Grausamkeit. Das ist definitiv mit Absicht, und zeigt dem Betroffenen, dass es der „Kollegin“ gefällt, aktiv Rufmord zu betreiben, andere abwerten, zu denunzieren oder lächerlich zu machen – dies natürlich sanktionslos (Alpha-Stellung).
Fehlen von verantwortungsvollen Führungskräften als Ansprechpartner in Konfliktsituationen
Dass anfangs der Kontakt bei manchen Mitarbeiterinnen funktioniert hat, dieser aber zunehmends weniger wurde, ist meist eine Mobbing- Folge. Firmen sind in systemischer Hinsicht ein Gefüge, wo es Menschen gibt, die intern "mehr" zu sagen haben "Rudelsführer", bzw. gute Vertrauensstellung zur Chefetage etc... Wenn Sie auch nur EINEM solchen Menschen nicht gefallen, schafft es dieser, binnen einer relativ kurzen Zeit, dass die anderen sich von Ihnen absentieren (müssen). Denn - wenn diese Personen es nicht tun, werden sie ebenso ausgegrenzt und schikaniert werden. Das heißt, wenn eine Person mit guter interner Stellung "beschließt", dass sie Sie nicht hier haben will, haben Sie gute Chancen, dass es funktioniert. So grausam ist das Spiel. Mobbing wird auch als "inoffizielle" Personalarbeit bezeichnet. Da es jedoch nicht so offensichtlich ist, nennt man Mobbing auch STILLE GEWALT.
Auch, wenn es darunter MitarbeiterInnen gibt, die das eigentlich nicht mitmobben wollen,... - sie würden sich massiv exponieren, wenn sie es dennoch tun - und hätten das gleiche Verhalten gegen sich zu erwarten, wenn sie nicht so funktionieren, wie der "Rudelsführer" es ihnen vorgibt.... Das ist das Traurige am Mobbing.... das Firmensystem ist so krank (eben WEIL gewisse Personen so eine Vertrauensstellung inne haben und Leute ausspielen können, wie sie wollen, was wiederum NUR durch die fehlende Führungsverantwortung gelingen kann), dass man in solchen Firmen OHNE Verstärkung (mutige Kollegen, die auch die Chefetage nicht scheuen etc..) kaum Gehör findet oder langfristig - bleiben kann.
Es steht in vielen Mobbingratgebern deshalb auch als Ratschlag, dass man sich - sobald Mobbing beginnt - Verbündete suchen soll...
Nur: GERADE in solchen Firmen, wo es so läuft.. werden sie keine finden (weil aus Angst diese aktiv beim Mobben mitmachen, oder - wenn sie eine freundlichere Natur haben, einfach nur schauen, mit Ihnen nicht mehr gesehen zu werden, denn - selbst das könnte schon negative Folgen für sie haben).
Dass das Dienstzeugnis so aussieht, ist auch schade... da hat offenbar jemand dafür gesorgt.
Als Tip: Man kann ein ordentliches Dienstzeugnis verlangen (über AK), insbesondere, wo auch das Arbeitsgebiet genau obensteht, was Sie gemacht haben etc.. ich würde mich diesbezüglich bei der AK beraten lassen, oder bei einem Rechtsanwalt (ev. haben Sie eine Rechtsschutzvers.? – wenn nicht.. ich rate jedem Menschen zum Abschluss einer solchen!).
Ihr vermeintlich "passives" Verhalten kann ich sehr gut nachvollziehen, man spürt selbst, dass - wenn man klipp und klar Dinge anspricht, oft das Nachsehen hat oder nur noch mehr zur Zielscheibe wird. Klarheit und Transparenz sind für solche „KollegInnen“ sehr gefährlich. Typisch in solchen Firmenstrukturen ist es, dass konstruktive Versuche zur Lösungsfindung zumeist eine VERSCHLECHTERUNG desjenigen nach sich ziehen, der sich für eine konstruktive gute Lösung eingesetzt hat.. Umgs. : es fällt einem immer alles "auf den Kopf"...
Ihre Angst, so etwas wieder erleben zu müssen, ist sehr nachvollziehbar.
Es ist hilfreich, wenn man über das Erlebte schreibt oder spricht, denn es ist eine massiv belastende bis traumatische Erfahrung. Leider ist es gesellschaftlicherseits (und oft auch ärztlicherseits) so, dass man als Mobbingopfer als "sensibel, nicht belastbar, leicht "paranoid" etc. hingestellt wird. Dies ist ein massiv opferbeschuldigendes Verhalten, das KEINE Berechtigung hat, leider wird es wohl noch dauern, bis dies der allgemeinen Öffentlichkeit bekannt wird…
Wir arbeiten an Wissensverbreitung zum Thema psychische Gewaltausübung und Mobbing in (Firmensystemen), falls Sie Interesse und Zeit haben, sind Sie gerne eingeladen, Ihre Vorschläge, Ideen und Ihr einschlägiges Wissen einzubringen.
Mit Dank für Ihre Kontaktaufnahme und Ihr Vertrauen,
allerbeste Grüße
www.selbsthilfegruppe-mobbing-graz.at