Urteil | Kündigung
Arbeitsgericht Berlin - 54 Ca 12814/16
BEM ist mehr als Anhörung: Eingliederung bei psychotherapeutischer Behandlung
Ein Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) kann nur dann zu einer wirksamen krankheitsbedingten Kündigung führen, wenn es vom ernsthaften Bemühen des Arbeitgebers getragen ist. Es reicht nicht, wenn der Arbeitgeber das BEM lediglich „pro forma“ durchführt.
Die demografische Entwicklung und die über lange Zeit steigende Anzahl von Krankheitstagen speziell im psychischen und psychosomatischen Be-reich machen seriöse Versuche zur Eingliederung unverzichtbar.
Immer häufiger wird das Eingliederungsmanagement auch zum Erfolgsfaktor im Kündigungsschutzprozess, weil die Versuche des Arbeitgebers, ein BEM durchzuführen, oft nicht ausreichen, um eine krankheitsbedingte Kündigung auszusprechen.
In einem vom Arbeitsgericht Berlin rechtskräftig entschiedenen Fall fand kein ernst gemeintes Eingliederungsmanagement statt, sondern ein ausgrenzendes „Ausgliederungsmanagement“.
Arbeitgeber überzieht psychisch Kranken mit Kündigungen
Unter anderem wurde der in psychotherapeutischen Behandlung befindliche Kläger mit insgesamt fünf eindeutig unberechtigten Kündigungen überzogen und durfte im Keller arbeiten. Der Arbeitgeber machte sich dann auch nicht mehr die Mühe, die Kündigungen wegen angeblicher Pflichtverletzungen vor Gericht zu begründen. Der Therapeut des Klägers bestätigte dem Gericht im zuletzt geführten Verfahren, dass die erheblichen Krankheitszeiten vor der letzten krankheitsbedingten Kündigung im Umfang von 515 Tagen in den letzten drei Jahren durch Personalverantwortliche des Arbeitgebers mitverursacht waren (Mobbing).
Ein zwei Jahre vor der letzten Kündigung eingeleitetes BEM, das der Herbeiführung der Kündigungsvoraussetzungen dienen sollte, reichte dem Arbeitsgericht jedoch nicht aus, um die Kündigung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung für berechtigt zu halten.
Arbeitsgericht vermisst Interaktion
Insbesondere hielt das Gericht es für irrelevant, dass der Kläger seinen Diagnosen nicht - so wie vom Arbeitgeber gewünscht - im BEM-Gespräch offenbart hatte.
Entscheidend sei, dass die Beklagte über einen längeren Zeitraum nichts Weiteres zur Eingliederung des Klägers unternommen habe. Sie habe nicht dargelegt, welche Maßnahmen oder Gesprächsansätze sie verfolgt habe, um zu klären, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden und der Arbeitsplatz erhalten werden könne.
Eine bloße Anhörung des Arbeitnehmers reicht nach der Kammer des Arbeitsgericht für ein BEM nicht aus. Der Arbeitgeber müsse im Sinne einer Interaktion initiativ werden (hervorgehoben auch im Urteil).
Die fehlende Interaktion beim kollektiven Suchprozess führt nach Ansicht der Kammer zur Verlagerung von Darlegungslasten auf den Arbeitgeber, dies gilt insbesondere im Hinblick auf die häufig behauptete Nutzlosigkeit eines BEM.
Praxistipp
Durch die Entscheidung wird jetzt verdeutlicht, dass die Einleitung eines BEM durch Zeitablauf oder auch durch spätere Geschehnisse wie andere Kündigungen „verbraucht“ sein kann.
Ist der der Suchprozess durch den Arbeitgeber unseriös, etwa weil er auf den Abbruch des BEM durch den Beschäftigten gerichtet ist, sollte der Verlauf der Gespräche dokumentiert und zur Verwendung im Kündigungs-schutzprozess gesichert werden.
Urteil des Arbeitsgerichts Berlin:
Leidensgerechter Arbeitsplatz statt Kündigung:
Praxistipp
Autor: Dr. Hanns Pauli
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