ImageWie kommt es zu Mobbing, wie ist die rechtliche Situation, was können Betroffen tun? Boris Lechthaler führte für das Werkstatt-Blatt mit Eva Pichler zum Thema Mobbing folgendes Interview. Eva Pichler kennt Mobbing aus eigener leidvoller Erfahrung und engagiert sich deshalb auch für eine Anti-Mobbinggesetz in Österreich.

 

 

WB: Liebe Eva, Du bist bei einer Selbsthilfegruppe „Mobbing“ in Graz engagiert. Wie bist Du auf dieses Thema gestoßen?

Eva: Über mehr als 2,5 Jahre war ich Mobbing ausgesetzt, weder Führungskräfte, noch Betriebsrat, noch die externe Supervisorin konnten/wollten helfen. Ich wurde innerbetrieblich auf allen Ebenen mundtot gemacht, als "sensibel, nicht belastbarer" Mensch hingestellt, der sich alles nur einbildet, die Grundsituation wurde negiert, ständig wurde mir gesagt, meine "Persönlichkeit" sei eben defizitär, und: "Mobbing gibts nicht bei uns!" Alle Versuche meinerseits, eine konstruktive Lösung zu finden, scheiterten. Ich wurde schwer depressiv und arbeitsunfähig. Bei der AK sagten sie mir, ich hätte keine Chance vor Gericht, das "könne ich gleich vergessen". Da ich mich damit nicht abfinden wollte, suchte ich anwaltliche Unterstützung, meine Anwältin sagte mir nach Durchsicht des Sachverhaltes - völlig konträr zur AK-Auskunft - dass eine Klage durchaus aussichtsreich sei. Ich wollte mich einer Selbsthilfegruppe anschließen, aber in der ganzen Steiermark gab es keine. Als ich hörte, dass meine eh. Kollegin ebenfalls gemobbt wurde, und ihr niemand half, und sie mir weinend sagte: "Ich will nicht mehr leben, ich halte das Mobbing nicht mehr aus..." nahm ich meine ganze Wut, Verzweiflung und Kraft zusammen und gründete die SHG, denn es muss einfach aufhören, dass Firmen ihre Mitarbeiter in Krankenstand, Pension und Suizid treiben.

WB: Was versteht man genau unter Mobbing?

Eva: Mobbing ist weder ein Streit, noch ein Konflikt. Mobbing ist systematisierte psychische Gewalt, die vom Betroffenen alsTrauma erlebt wird, und schwerste Schäden verursacht. Mobbing wurde als Krankheitsursache bereits in die Lehrbücher der Psychotraumatologie aufgenommen (Mobbingopfer sind oft Traumapatienten).

Es gibt keine Legaldefintion von Mobbing, daher ist die rechtiche Definition aus der Rechtssprechung abzuleiten. Beste Übersicht (auch Beamtenrecht) bietet der juristische Artikel von MinR RegR Mag. Manfred HOZA: "Wirksamer Schutz vor Mobbing und Diskriminierung?", der auch in der HVB-Zeitschrift "Soziale Sicherheit" veröffentlich wurde. Herr Mag. Hoza ist eh. Rechnungshofbeamter, Jurist und Opferschutzexperte. Website: http://manfred-hoza.jimdo.com/artikel/ . Zudem unterstützt er unsere Gruppe ehrenamtlicher Weise seit Anbeginn, wofür ich äußerst dankbar bin. Seine versierte und stets prompte Unterstützung hat schon vielen Betroffenen beste Dienste geleistet.

Die "allgemeine Definition" von Mobbing laut Dr. Argeo Bämayr, FA für Neurologie, Psychiatrie & Psychotherapie (Autor des Buches "Das Mobbingsyndrom") lautet:

Mobbing liegt vor, wenn im Rahmen einer Täter-Opfer-Konstellation innerhalb einer sozialen Gemeinschaft oder einem Abhängigkeitsverhältnis Täter mittels einer individuell praktizierten psychischen und/oder körperlichen Gewalt systematisch und willkürlich die Persönlichkeitsrechte eines Opfers so verletzen, dass das Opfer, psychosozial destabilisiert, einen zunehmenden gesundheitlichen und sozialen Schaden erleidet (BÄMAYR).

Bei Mobbing liegt IMMER eine Täter-Opfer-Konstellation vor, wäre diese nicht gegeben, handelt es sich nicht um Mobbing. Dies muss aber nicht unbedingt ein "hierarchischer" Unterschied sein, auch interne Vertrauensstellungen (zB "rechte Hand der Chefin", "Schatzerlwirtschaft") bringt MobbingtäterInnen in Überlegenheitsposition. Umgangssprachlich kann man sagen, wenn ein Mensch beschließt, den anderen "abzuschießen", aus dem Arbeitsverhältnis zu drängen, und dafür alle Möglichkeiten des Firmennetzes nutzt (Rufmord bei Vorgesetzten, Kommunikationsabbruch, Intrigen, Ignoranz, Ausgrenzung, Sabotagehandlungen, Infos zurückhalten, Fehler des Mobbingopfers aufbauschen oder solche unterschieben etc.). Wenn Vorgesetzte mobben, nennt man das Bossing.

WB: Ist nach Deinem Eindruck Mobbing eine Zeiterscheinung oder hat es Mobbing schon immer gegeben?

Eva: Psychische Gewalt, Psychoterror, Intrigen - dies hat es immer schon gegeben. Ganze Reiche sind gefallen, wenn HerrscherInnen dieses "Spiel" gut nutzten... Doch im Jahre 2014, denke ich, sollte man die mittelalterlichen Strukturen doch schon längst hinter sich gelassen haben, möchte man meinen... Das "moderne Sklaventum" scheint sich aber - insbesondere im öff. Dienst und staatsnahen Unternehmen - doch noch klassisch zu halten... Nach dem Motto: Wer nicht pariert, der fliegt (und da das kündigen oft nicht möglich ist, wird stattdessen gemobbt). Zudem: Schwache Personen wollen andere immer noch schwächer sehen. (In der Regel fühlen sich MobbingtäterInnen dem Gemobbten gegenüber defizitär, TäterInnen sind oft selbstunsichere Persönlichkeiten). Bossing ist auch leider eine vielgenutzte Methode, um Personalkosten zu sparen (zB auch Abfertigung), um Mitarbeiter loszuwerden für einen "Freund" (Postenschacher), tlw. auch die Anwort darauf, wenn Mitarbeiter keine Korruption (mehr) ausüben möchten. Dann werden sie zur Gefahr (!) und man muss sie loswerden. Intransparenz der Führung fördert Mobbing ebensosehr wie Konkurrenzdruck, auch in Zeiten von (drohendem) Personalabbau werden "sanfte Lämmer" oft zu MobbingtäterInnen aus Angst um den Arbeitsplatz/Existenz ("besser er als ich"). Mobbing wird nicht umsonst als "inoffizielle Personalarbeit" bezeichnet. Signifikant zur leider immer noch vorherrschenden Tabuisierung von Mobbing und psychischer Gewalt ist, dass es lediglich zwei Fachbücher aus ärztlicher Sicht im deutschsprachigen Raum gibt! Siehe "Literatur" (Bämayr, Teuschel - beides Fachärzte in D).

Mobbing im Schulbereich darf nicht unterschätzt werden! Auch für Kinder und Jugendliche hat Mobbing schwerste Folgen, die oft lebenslang anhalten können. Umso wichtiger ist es, dass Lehrer, Horterzieher, aber auch Eltern und Betreuer über Schul- und Cybermobbing informiert sind. Siehe dazu auch unser Register: http://www.selbsthilfegruppe-mobbing-graz.at/cyber-schul-mobbing/ (Für unser Engagement durften wir 06/2013 im Rahmen von GRAZIA den Ehrenpreis der Stadt Graz in Empfang nehmen). Buchempfehlung: Dr. Peter Teuschel: BULLYING (erstes fachärztliches Buch zu Schul-Cybermobbing! - jedem Lehrer und Elternteil zu empfehlen!)

WB: Sind es mehr persönliche Dispositionen, die jemandem zum Opfer oder zum Täter von Mobbing machen, oder ist die Dynamik eher situationsbedingt?

Eva: Es ist klar zu sagen, dass es Mobbing nur in Firmen gibt, die dies dulden oder fördern. Der Chef bestimmt die Spielregeln, wenn die Führung Mobbing zulässt, hat mEn kein Mobbingopfer eine Chance (außer mögl.weise bei gerichtlicher Auseinandersetzung, und dann ist zumeist naturgemäß der Job auch weg..). Mobbingopfer kann man unabhängig von den persönlichen Eigenschaften werden, in vielen Fällen wird man zum Opfer, wenn man im Vergleich zu anderen bessere Leistungen erbringt. Selbstverständlich spielt die Persönlichkeit eines Menschen eine Rolle: ugspr. "schwächere" Persönlichkeiten rattern schneller die Mobbingspirale runter, ugspr. "stärkere" Persönlichkeiten sind ggf. längerfristig maltretierbar, und haben einen längeren Atem. Fakt jedoch ist: Mobbing bringt jeden Menschen zu Fall - ungeachtet seiner Persönlichkeit, denn KEIN MENSCH ist immun gegen systematisierten, oft täglich zersetzenden Psychoterror. Mobbingopfer als sensibel, nicht belastbar, nur alles auf sich beziehende Menschen hinzustellen hat SYSTEM. Sobald Personalverantwortliche dies tun, mobben sie aktiv mit, indem sie die Situation negieren und das Opfer in der Gewaltsituation noch beschuldigen (!), ihre Persönlichkeit sei die Ursache für Mobbing. Wenn man das von allen hört (Chefs, BR, Supervision) fängt man an, das auch selbst zu glauben, und wird durch diese Selbstzweifel und Angst vor Jobverlust noch verunsicherter, durch die Hilfsunterlassung der Zuständigen gerät man irgendwann in komplette Ausweglosig- und Perspektivenlosigkeit. Jeder 5. Suizid geht auf Mobbing zurück (3/4 der Suizide männlich, 1/4 Suizide weiblich). Es ist uns ein besonderes Anliegen, dass auch und gerade Männer bei uns in der SHG melden, die Hemmschwelle, Unterstützung zu brauchen und ggf. "Opfer" zu sein, ist für Männer oft um einiges größer als für Frauen. Anonyme Kontaktaufnahme ist kein Problem (unterdrückte Nummer, anonyme Mail).

WB: Kritisiert wird ein fehlender rechtlicher Rahmen, mit dem sich Mobbing-Opfer besser zur Wehr setzen könnten. Was sind die Folgen?

Eva: Der Staat hat die Aufgabe, seine Bürger zu schützen. Im Falle von psychischer Gewaltausübung ist dieser Schutz mEn defizitär bzw. im Falle von Mobbing derzeit kaum gegeben. Mit dem Anti-Stalking-Gesetz (§107a StGB - Beharrliche Verfolgung) wurde begonnen, psychische Gewaltausübung strafrechtlich zu sanktionieren. Wenn man bedenkt, dass Mobbingopfer eigentlich "Stalking-Opfer" betrieblicherseits sind, denn man könnte Mobbing durchaus als "beharrliche Verfolgung im Dienst" mit Ziel des Ausstoßes aus dem DV sehen, und man rechtlich kaum eine ausreichende Handhabe hat, wird deutlich erkennbar, dass auch das Gesetz das Mobbingopfer im Stich lässt.

Bei Diskriminierung hat man rechtlich gesehen etwas bessere Chancen vor Gericht, da der Diskriminierungsgrund greifbarer ist und oft leichter beweisbar ist.  Mobbing jedoch wird oft sehr subtil ausgeübt, je subtiler die Maßnahmen, desto zerstörerischer wirken sie auf das Opfer, jedoch umso schwerer ist dieses auch beweisbar. Erst der längere Verlauf, der den zielgerichteten innerbetrieblichen Psychoterror aufzeigt, kann dann im Sinne einer "beharrlichen Verfolgung" gewertet werden. Dann sind aber oft schon gesundheitliche Schäden beim Opfer entstanden.

ImageDie Folgen von Mobbing unterteilen sich in die persönliche Folgen für das Mobbingopfer: psych. Erkrankung, Job-/Existenzverlust, Verdienstentgang, Armutsgefährdung (ab 45 + kaum mehr reelle Jobchance mehr, u.a. auch wegen Traumafolgen), niedrige Pensionsleistung (da zuvor jahrelang kein DV mehr), schwerste Einbußen der Lebensqualität (durch schwere Depressionen/posttraumatische Belastungsstörungen).

Für die Volkswirtschaft: immense Kosten! Im öff. Dienst/staatsnahen Unternehmen müssen keine Mobbingkosten getragen werden - diese werden schließlich vom Steuerzahler getragen (!), und zwar: Krankenstände, Langzeitkrankenstände, Arzt-, Therapie-, Krankenhaus-, Rehabkosten, Arbeitslosengeld oder Pensionsleistungen, auch dazu kommt die Einschulungszeit der neuen Mitarbeiter, Personalfluktuationskosten etc. Ich habe meinen Mobbingfall einmal durchgerechnet - volkswirtschaftlicher Schaden an die EUR 300.000,- ! EIN FALL!

Es ist eigentlich nicht mehr nachvollziehbar, warum es keinen gesetzlichen Schutz vor Mobbing gibt bzw. Mobbing strafrechtlich sanktioniert wird und nicht mehr - wie bisher - als "Kavaliersdelikt" gehandhabt wird!  

"Der Staat, der Mobbing in seinen Dienststellen und in der Privatwirtschaft zulässt oder nicht ausreichend sanktioniert, kann sein humanitäres Wertesystem nicht glaubwürdig an seine Bürger vermitteln und gibt damit dieses Wertesystem langfristig dem Verfall preis." 
Dr. Peter Wickler (ehem. Vizepräsident LAG Thüringen)

 WB: Ihr habt eine parlamentarische Petition zur Einführung eines Antimobbinggesetzes initiiert. Welche Resonanz hat diese Initiative bisher gefunden?

Eva: Dazu möchte ich zuerst festhalten, dass die gesetzliche Arbeitnehmervertretung (AK, ÖGB) unseres Wissens nach seit 2008 NICHT initiativ wurden zur Schaffung eines gesetzlichen Schutzes vor Mobbing, was ich persönlich als schwere Unterlassung der gesetzlich anvertrauten Klientel empfinde. In über einem Jahr SHG-Erfahrung wurde bisher keinem Betroffenen seitens der AK/ÖGB geholfen, Klage wegen Mobbing einzubringen. Die Auskunft der Mobbingbetroffenen lautet unisono: "Leider, bei der derzeitigen Rechtslage keine Chance auf Erfolg. Da können wir leider nichts machen...". Übersetzt für das Mobbingopfer heißt das: "Pech gehabt, Job, Existenz, Gesundheit verloren, für den Rest des Lebens Notstand, Krankheit, schwerste Unrechtserlebnisse - aber Hilfe gibts keine". Ich habe vom 15.-43 Lj. AK-Zwangsbeitrag bezahlt, als ich Hilfe brauchte, wurde ich abgewiesen (wie viele andere auch). http://www.selbsthilfegruppe-mobbing-graz.at/petition-%C3%B6-anti-mobbing-gesetz/

Bis dato haben wir 169 Unterschriften, was eine sehr geringe Zustimmungsrate ist. Es gibt zuhauf Lippenbekenntnisse: "Ja, wir sind auch gegen Mobbing", aber wirklich unterschreiben tun nur wenige Personen. Wir haben uns darüber Gedanken gemacht, und Personen angesprochen, viele haben ANGST, wenn sie zB bei einem öff. Dienstgeber arbeiten, dass ihren Vorgesetzten bekannt wird, dass sie eine Petition gegen Mobbing unterschrieben haben, und dass das nachfolgend negative Auswirkungen haben könnte (!). Man sieht hier sehr deutlich die Angstkultur, die in diesen streng hierarchischen Unternehmen vorzuherrschen scheint.

Auf der Parlamentsseite kann man Unterstützungserklärungen für ein Anti-Mobbing-Gesetz abgeben: "Ö braucht ein Anti-Mobbing-Gesetz" (auch für Cybermobbing):

http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/PET/PET_00001/index.shtml#tab-Uebersicht

ImageWeder bei der ersten, noch bei der jetzigen Petition haben die Medien darüber berichtet (Info erging an Presseverteiler). Es scheint so, also ob die gesellschaftliche und politische Verdrängung dieses Themas noch weit raumgreifend ist. Oder - um es mit Dr. Bämayrs Worten auszudrücken: Wenn wir die "Würde des Menschen" (Art. 1 Grundgesetz) in etwa gleichsetzen mit der "psychosozialen Stabilität" dann müssen wir feststellen, dass durch die "Zulässigkeit der psychischen Gewalt", welche immer die psychosoziale Stabilität gefährdet, in einem gigantischen Ausmaß die Würde des Menschen verletzt wird, was natürlich nahezu alle Herrschenden zur Aufrechterhaltung ihrer Macht auch gar nicht ändern wollen.* (BÄMAYR) http://www.selbsthilfegruppe-mobbing-graz.at/dr-b%C3%A4mayr/

WB: Danke für das Gespräch


Weitere Hilfslinks für Mobbingbetroffene:

www.mobbingberatung.at 
www.mobip.at 
www.dioezese-linz.at/redaktion/index.php?action_new=Lesen&Article_ID=36846 
www.salzburg.at/miniweb/konflikte/


 

Volksbegehren

Hier geht es zu den aktuellen Volksbegehren:

 

https://www.bmi.gv.at/411/

welche am Gemeindeamt/Magistrat und über die Handysignatur unterstützt werden können.

Relevantes Volksbegehren für Mobbingbetroffene

Auf das Volksbegehren von

Martin Wabl:

 

"STOP DER PROZESSKOSTENEXPLOSION"

http://www.martinwabl.at/STOP-DER-PROZESSKOSTENEXPLOSION.html

 

wird für Mobbingbetroffene besonders hingewiesen.

Jeder kann etwa nach Mobbing, einem Arbeitskonflikt,  einem Verkehrsunfall, einer Scheidung oder nach einem Verlassenschaftsverfahren mit einem Gerichtsverfahren konfrontiert sein.

 

Daher verdient dieses Volksbegehren, nach Meinung von Mobbingbetroffenen, Ihre

Unterstützung.