SMZ Liebenau Mag. Uschi Possert: Offener Brief an den Bürgermeister der Stadt Graz bzgl. Lager Liebenau

 

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Gesendet: Mittwoch, 23. August 2017 um 17:00 Uhr
Von: "smz@smz.at" <smz@smz.at>   
           
Sozialmedizinisches Zentrum Liebenau
An: shg-mobbing-graz@gmx.at

 

Offener Brief an den Bürgermeister der Stadt Graz bzgl. Lager Liebenau

 

Sg. Hr. BM Nagl!

 

Ich schäme mich für Sie! Der Bürgermeister meiner Stadt, die sich „Stadt der Menschenrechte“ nennt, zeigt offenbar nun seine wahre Gesinnung.


„Warum nicht“ - Schrebergärten auf Zwangsarbeiterbaracken bauen,… „Wenn es ein KZ gewesen wäre, wäre die Situation natürlich eine andere, aber es war ein Arbeitslager wie andere auch…“

Ich bin entsetzt über diese Aussage im Standard, dann damit relativieren Sie und Ihr Büro die steirische NS-Geschichte - ein dunkles Kapitel auch in unserer Landeshauptstadt, leider bekannt als „Hochburg der Nationalsozialisten“ oder Stadt der Volkserhebung.“


Noch letzte Woche in „Steiermark Heute“ (ORF) erklären Sie, alles tun zu wollen, um die Geschehnisse rund um das Lager Liebenau aufzuklären und die noch freien Flächen archäologisch untersuchen zu lassen, um weitere Opfer (lt. Archäologen bis zu mehreren hundert) aus dem Jahr 1945 zu finden. Im derStandard vom 19.8.17 – nur eine Woche später - bezeichnen Sie und Ihr Büro alles als „haltlose, völlig unbegründete Spekulationen eines Arztes.“

 

Ich darf Ihnen, Hr. Bürgermeister, das Buch von Univ. Doz. Barbara Stelzl Marx „Das Lager Graz-Liebenau in der NS-Zeit. Zwangsarbeiter - Todesmärsche - Nachkriegsjustiz. Verlag Leykam 2012“ an`s Herz legen und daran erinnern, dass Barbara Stelzl-Marx den Auftrag von der Stadt Graz erhielt, jene historischen Fakten rund um das Zwangsarbeiterlager in Liebenau aufzuarbeiten. Dazu gab es auch ein Symposium des Ludwig Boltzmann Instituts im April 2015 (ebenf. im Auftrag der Stadt), in dem die harten Fakten klar auf den Tisch gelegt wurden.


Ja, es handelt sich in Liebenau um ein Zwangsarbeitslager und nicht um ein KZ. Man kann es als „Vorstufe“ zum KZ bezeichnen, denn die Lebensbedingungen der internierten ZwangsarbeiterInnen waren vergleichbar mit jenen in KZs:

 

Barbara Stelzl-Marx wörtlich:


„Insgesamt waren es 5.000 bis 6.000 Menschen, die im April 45 hier in mehreren Etappen durchgeschleust wurden. Viele von ihnen waren durch den Arbeitseinsatz und den Todesmarsch stark geschwächt, ausgehungert und krank. Sie mussten im Freien übernachten, obwohl es sehr kalt war. Sie hätten Medikamente benötigt, die auch vorhanden waren, ihnen aber nicht gegeben wurden. Die Verpflegung war katastrophal, obwohl es genügend Lebensmittel gegeben hätte. … Es gibt auch einen Bericht von einem Juden, der sich eine Decke nehmen wollte. Weil das verboten war, wurde er als abschreckendes Beispiel erschossen.“

 

Stelzl- Marx weiters:

 

„Im Gebiet des Lagers Liebenau fand man die Überreste von 53 Leichen, es handelte sich zum Großteil um ungarische Juden. Im Jahr 1947 zitierte „Das Steirerblatt“ (ÖVP) den Vorsitzenden der Gerichtsverhandlung Sir Douglas Young: „Die Zahl der Liebenauer Todesopfer sei weit höher als 53“. Es ist daher nicht auszuschließen, dass noch weitere Leichen in diesem Gebiet vergraben sind…“

 

Wie Ihnen, Hr. Bürgermeister, zudem entgangen ist, hat auch Dr. Eleonore Lappin-Eppel, Österreichische Akademie der Wissenschaften, zur traurigen Geschichte des „Lager Liebenau“ geforscht. Sie hat, u.a., die Ankunft der Transporte in Liebenau in ihrem Buch über die Todesmärsche folgendermaßen zusammengefasst:

 

„Anfang April 1945 lieferte die Polizei einen Transport mit 1.700 Personen ein, der bereits am nächsten Tag weitermarschieren musste. Diesem folgte ein weiterer mit tausend TeilnehmerInnen, bei 200 von ihnen soll Fleckfieberverdacht bestanden haben. Auf Anordnung eines Arztes wurden die Kranken in Baracken untergebracht und entlaust. Obwohl es im Lager reichlich Medikamente gab, verbot Lagerleiter Nikolaus Pichler, diese an Juden auszufolgen. Er forderte vielmehr den Sanitäter des Lagers, Hanns Fugger, auf, die Kranken mit Morphiumspritzen zu liquidieren. Als Fugger sich weigerte, stellte der Werkschutz die Mordkommandos, welche sie in mehreren Aktionen erschossen. …“


… „Am 2. April wurde ein großes Mordkommando durchgeführt: Ca.100 bis 150 Personen wurden von Liebenau in die SS Kaserne Wetzelsdorf gebracht, dort erschossen und verscharrt. Später, um die Verbrechen zu vertuschen, wurden diese wieder ausgegraben und am Feliferhof neuerlich unter die Erde gebracht. Nach dem Krieg konnten Überreste von 142 Opfern geborgen werden.“

Vergessen Sie nicht, dass die - das Lager Liebenau - überlebenden Menschen schließlich ins KZ nach Mauthausen getrieben wurden, …

 

Auch Dr. phil. Gabriele Czarnowski vom Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie, Medizinische Universität Graz, forscht seit 2007 zu medizinischen Versuchen Grazer NS-Ärzte an Ostarbeiterinnen an der Frauenklinik Graz. Sie schreibt und referiert über Dokumente, die die grausamen Behandlungen bestätigen:


„Fakt ist, dass Ende 1944 PatientInnen aus dem Lager Liebenau für Abtreibungen und medizinische Versuche rekrutiert wurden.“


Bei einem Vortrag 2016 im SMZ präsentierte Czarnowski mehrere Ambulanzbuchblätter aus der Grazer Frauenklinik:


Z. B. von der 18-jährigen Olga O., die im Feber 1944, im zweiten Monat schwanger, in die Klinik kam. Oder Nadja, 20 Jahre alt, schwanger, mit Schmerzen im Unterbauch. Über die Abtreibung hinaus (die Akte vermerkt: Punktion mit Formalin und Umbrathor … 2 Steinsche Kuren, Fehlgeburt nach 6 Tagen, eine „männliche Frucht“) mussten beide Frauen missbräuchliche chirurgische Eingriffe zum Zweck der medizinischen Erforschung durch den Klinikchef Karl Ehrhardt erleiden. Olga war eine von 85 Schwangeren, an denen Ehrhardt den so genannten „Schuchardtschnitt“ durchführte, ein tiefer Scheiden-Damm- und Beckenbodenschnitt, der ganze Nervenstränge durchtrennte. Ehrhardt, der diese chirurgische Technik nur mangelhaft beherrschte, „übte“ diesen Schnitt an den Frauen.

 

Ich könnte Ihnen, Hr. Bürgermeister, noch andere erforschte, zutiefst traurige Schicksale und gesammelte Zeitzeugenberichte - das Lager Liebenau betreffend - und auf Tonband aufgenommen, präsentieren. Ob KZ oder Zwangsarbeitslager – es sind die Schandtaten jener Menschen in Graz, die zu so Unmenschlichem fähig waren, dass einem die Worte im Hals stecken bleiben.

 

Zitat Standard: „Wozu graben?“ Es seien bloß „bisher haltlose, völlig unbegründete Spekulationen eines Arztes“:

 

Fakt ist - und auch, das scheinen Sie, Hr. Bürgermeister zu ignorieren, dass beim Neubau des Kindergartens (in der Andersengasse) 1991 die sterblichen Überreste zweier Opfer geborgen wurden.


Mein Mann, jener besagte Arzt, konnte die Akten in der Gerichtsmedizin schon vor Jahren ausheben. Es ist evident, dass diese Skelettfunde totgeschwiegen, die geplanten Keller im Kindergarten nicht gebaut wurden und seither der Bauakt im Bauamt des Magistrats verschwunden ist.
Dort zu graben, wäre aufschlussreich.

 

Außerdem gibt es externe Gutachten der Firma Luftbilddatenbank, von Dekanin Univ.Prof. Claudia Theune-Vogt, Uni Wien oder von Luftbildfotogrammetrie ADP Rinner, Graz, die jene Bombentrichter markieren und berechnet haben, in denen Opfer des Lagers verscharrt sein könnten. Zeitzeugenberichte aus dem Jahr 1947 (Liebenauer Prozess) verweisen auf Verbrechensörtlichkeiten und Bombentrichter.

 

Die Errichtung der „archäologischen Bodenfundstätte“ seitens des Bundesdenkmalamtes vor knapp 2 Jahren im Bereich des heutigen Grünangers stützt sich u.a. genau auf diese Expertisen und Gutachten, die mein Mann urgiert und mitorganisiert hat. Ihn also als „Vertreter der Zivilgesellschaft“ anzupatzen, weil er, hartnäckig gegen braune oder sonstige Widerstände, die Aufklärung der Verbrechen im ehemaligen Lager Liebenau vorantreibt und sich dem jahrzehntelangen Verschweigen widersetzt, ist übel.

 

Seit mehr als fünf Jahren haben Sie, Hr. Bürgermeister, es nicht wert gefunden, die jährlichen Gedenkveranstaltungen für die Holocaustopfer in Liebenau - trotz persönlicher Einladungen seitens des Sozialmedizinischen Zentrums - zu besuchen. Sie lehnen jegliche Kontaktaufnahme ab.

 

Vielleicht berührt Sie ein Zitat aus der Gedenkansprache von Szabolcs Szita, Direktor des Holocaust Memorial Centers in Budapest bei der SMZ Gedenkveranstaltung 2014:


„Alles, was das Böse benötigt, um zu triumphieren, ist das Schweigen der Mehrheit.“

 

Auch für die Philosophin Hannah Arendt, die sich mit der NS-Herrschaft intensiv auseinandergesetzt hat, bedeutet jenes hartnäckige Verschweigen, „dass die Täter - und die sie umgebende Gesellschaft nach dem Krieg - eine totale Komplizenschaft praktizierten.“


Das Schweigen aufrecht zu erhalten, gilt als nachträgliche Erfüllung von Hitlers Wünschen, der auf den Genozid einen Memnozid (Tötung des kollektiven Gedächtnisses) folgen lassen wollte. „Wer das Schweigen privilegiert, macht sich der Komplizenschaft schuldig.“

 

Nicht nur ich, sondern auch Freunde und Bekannte, Kollegen und Kolleginnen schütteln nur mehr den Kopf hinsichtlich der beschämenden Aussagen im Standardartikel vom 19.8.2017.


Schrebergärten auf Zwangsarbeiterbaracken zu verlegen, ist im Zusammenhang mit den mittlerweile bekannten schrecklichen Ereignissen unethisch.


Ein kleiner Gedenkgarten oder ruhiger Gedenkhain statt Schrebergärten (mit den Resten der Lagerstrasse und Teilen der Barackenfundamente, die ja in den letzten Tagen von den ArchäologInnen fein säuberlich ausgegraben wurden) erscheint mir/uns mehr als angebracht.


Und wenn in drei Jahren dort noch eine Gedenkstätte folgt, wie Sie es im ORF-Interview angemerkt haben, wäre das ein angemessenes Zeichen.

 

Übrigens, die einzige Gedenktafel für die unzähligen Opfer im Lager Liebenau hat nach Jahren bislang das SMZ Liebenau gespendet und angebracht,…

 

In diesem Sinne,
Mag. Uschi Possert, Graz am 21.8.2017

 

SMZ
24. Juli

Die Sonderausgabe Gedenken stehen interessierten LeserInnen auch zum kostenlosen Download bereit:

SMZ-Info Sonderausgabe Gedenken: 

http://smz.at/download.php?f=168b853eeff7b74bcc4f514ab4571be9

 

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diepresse.at: 07 2017: Die Schatten von Liebenau
Was liegt unter dem Grünanger? Wie ein Sozialmediziner seit Jahren von der Stadt Graz fordert, sich mit ihrer NS-Vergangenheit im Lager Liebenau näher auseinanderzusetzen.

http://diepresse.com/home/panorama/oesterreich/5248966/Die-Schatten-von-Liebenau

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SMZ
7. Juli

„Lager Liebenau – der verborgene Untergrund“ – Fotoausstellung von Rainer Possert

Anlässlich des Erscheinens des SMZ-Info Spezial zum Thema „Gedenken 1945- 2017“ lud das Sozialmedizinische + Stadtteilzentrum Jakomini am Mittwoch den 5. Juli zur Vernissage „Lager Liebenau – der verborgene Untergrund“. 
Mit der Begrüßung der zahlreich erschienenen Gäste durch Rainer Possert (Obmann SMZ und Fotograf) und seiner Einführung in die Absicht, die wichtigsten Fakten rund um die Geschichte des ehemaligen Zwangsarbeiterlagers und die archäologischen Ausgrabungen in einer Fotoausstellung und einer Spezialbroschüre zusammenzufassen, leitete er auf Kollegen Dr. Gustav Mittelbach vom SMZ über, der die gesellschaftliche und politisch relevante Auseinandersetzung mit der Geschichte im Bezirk Liebenau betonte. Mittelbach strich die die Aktualität und Wichtigkeit der Gedenkarbeit im Kontext sozialmedizinischer und gesundheitsfördernder Arbeit hervor, welche seit 30 Jahren ein wichtiger Bestandteil des Sozialmedizinischen Zentrums war und ist. Mag. Joachim Hainzl vom Verein Xenos schloss sich seinen Vorrednern an und sprach über seine Erfahrungen und die Notwendigkeit der Vermittlung historischem Wissens für alle Teile der Bevölkerung.
Besonders berührend war die emotionale Ansprache des Holocaust Überlebenden Dr. Benjamin Sheelo, aus Jerusalem, der in Graz Medizin studierte, nahe des heutigen Grünangers mit seiner Familie gewohnt hatte, aber erst viele Jahre später von der traurigen Vergangenheit in der unmittelbaren Nähe erfuhr. Dr. Sheelo bedankte sich bei Dr. Rainer Possert und Dr. Gustav Mittelbach für die jahrelange Freundschaft und den persönlichen und fachlichen Austausch. 
Daran anschließend konnten sich die zahlreichen Interessierten, unter Ihnen Stadthistoriker Prof. Karel Kubinzky oder Gemeinderat Horst Alic in gemütlicher Atmosphäre bei Getränken und kleinen Knabbereien austauschen, diskutieren und die Ausstellung genießen. 
Die Ausstellung mit den Fotografien der archäologischen Ausgrabungen aus dem Keller Andersengasse 32-34 (Denkmalschutz) von Dr. Rainer Possert, kann vom 5. Juli bis 20. September zu den Öffnungszeiten des Sozialmedizinischen + Stadtteilzentrum Jakomini in der Conrad-von-Hötzendorfstraße 55 jeweils DI. 11:00-17:00, MI. 09:00-16:00 und 17:00-20:00, DO. 9:00-13:00, besucht werden. 
Weitere Informationen erhalten Sie unter smz@smz.at oder 0699 18 08 43 75.
www.rainerpossert.at
http://smz.at/gedenkkultur.phtml

SMZ
28. Juni

Einladung zur Vernissage "Lager Liebenau - der verborgene Untergrund"

Anlässlich des Erscheinens des SMZ-Info Spezial zum Thema sehen Sie im Sozialmedizinischen + Stadtteilzentrum Jakomini:

- Fotografien von den archäologischen Ausgrabungen und aus dem Keller Andersengasse 32 -34 (Denkmalschutz) von Rainer Possert 
- Präsentation der SMZ-Dokumentation über das Gedenksymposion im April 2017

Mittwoch 5. Juli, Beginn 19:00 Uhr
Sozialmedizinisches + Stadtteilzentrum Jakomini; Conrad-von-Hötzendorf-Straße 55, 8010 Graz

Begrüssung und Einführung:
• Dr. Gustav Mittelbach
• Mag. Joachim Hainzl

Austellungsdauer: 5. Juli bis 20. September zu den Öffnungszeiten des Zentrums:
DI: 11:00-17:00
MI: 09:00-13:00, 14:00-16:00 und 17:00-20:00
DO: 09:00-13:00

Weitere Informationen erhalten Sie unter smz@smz.at oder 0699 18 08 43 75.
www.rainerpossert.at
http://smz.at/gedenkkultur.phtml

 

SMZ
6. Juni

Wie umgehen mit Gedächtnisorten im sozialen Kontext?
Stellungnahme des Sozialmedizinisches Zentrums Liebenau (SMZ) zu baulichen Maßnahmen am Grünanger

„Gedächtnisorte verhindern Vergessen, aber zuvor muss man sie erst einmal dazu machen. Wer identifiziert, bestimmt, markiert sie? Es ist ja keineswegs so, dass diese Orte uns anrufen: 'Hier bin ich; ich bin Zeuge und Mahnmal einer Geschichte, die nicht vergessen werden darf!' Wenn man sich um diese Orte nicht kümmert, geht das Leben über sie hinweg und verwischt die Spuren. Historische Gebäude werden abgerissen, umgebaut oder durch neue Nutzung unkenntlich gemacht...... Durch bauliche Relikte können Spuren des Megaverbrechens gesichert werden. Diese materiellen Reste haben eine wichtige historische Beweiskraft, sie konkretisieren diese Ereignisse für die Nachwelt und stützen unsere Erinnerung ab,“ Aleida Assmann in ihrer Rede im Landtag von Baden-Württemberg am 27. Januar 2012. („Die transformierende Kraft der Erinnerung “)

Mögliche Fundstellen von Massengräbern am Grünanger

Der „Grünanger“ und benachbarte Gebiete liegen im Bereich eines ehemaligen Zwangs-arbeiterlagers, in dem im April 1945 Massenmorde an ungarischen Juden mit unbe-kannter Opferzahl (mindestens 53 bis zu mehreren Hundert) verübt wurden Auf Grund vorliegender Gutachten (Luftbildatenbank Dr. Carls 2013, Dekanin Univ. Prof. Theune-Vogt 2014, 2015, DI Fuxjäger 2016) sind mögliche Tatorte (Bombentrichter, Gruben, Erdanhäufungen, Bunker) und mögliche Massengräber genau definiert und könnten bei entsprechendem Willen der Grundeigentümer (Stadt Graz, Fa. Kovac-Immobilien, Hatzl) jederzeit archäologisch untersucht werden.

Archäologische Bodenfundstätte Grünanger als „kontaminierter“ und „traumatischer“ Ort

Der Grünanger ist mittlerweile als „archäologische“ Bodenfundstätte im Flächenwid-mungsplan der Stadt Graz ausgewiesen. Damit wird vom BDA unterstrichen, dass es im Rahmen jeglicher Bauarbeiten möglich ist, archäologische Artefakte, Bausubstanz (Bun-ker, Fundamente von Baracken u.ä.) sowie menschliche Überreste aufzufinden, wie beim Neubau des Kindergartens der Stadt Graz 1991. Bei dem bezeichneten Gebiet, insbesondere im Bereich des ehemaligen Lagerareals, handelt es sich um eine „kontaminierte“ Zone (1), einen „traumatischen“ Ort, einen „Gedenkort“ und einen “Ort der Erinnerung (2).

Archäologische Funde

Im Rahmen der Begleitarbeiten zum Murkraftwerk wurden zahlreiche archäologische Funde am Grünanger gemacht, sogar Strukturen bei Bauarbeiten zu einem Jugendzentrum (WIKI) unter Denkmalschutz gestellt, die eine Umplanung notwendig machen. Es ist jedoch grundsätzlich immer damit zu rechnen, dass Opferfunde gemacht werden. Dies wird auch dadurch unterstrichen, dass seit der nicht durchgeführten und jedoch 1991 vorgeschriebenen Unterkellerung des Kindergartens bei allen! Neubauten ausdrücklich keine Unterkellerungen vorgesehen waren und noch immer sind. Völlig ungeklärt ist, ob im Kindergartenbereich und angrenzenden Areal weitere Opfer vergraben wurden.

Auch hier gilt: Bei entsprechendem Willen der Stadt Graz könnte der Sachverhalt jederzeit geklärt werden.

Ethische Fragestellung im Umgang mit sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen

Inwieweit Bebauung in solchen Gebieten ethisch gerechtfertigt ist, muss diskutiert werden können, vor allem, wenn es um die Ausübung sozialen Zwangs geht, der darin besteht, dass zukünftige Bewohnerinnen auf Grund ihrer sozialen Notlage die Wohnungen gewissermaßen nehmen „müssen.“

Die Besiedlungspolitik am Grünanger scheint noch heute von einem Wiederholungszwang getragen zu sein, in dem die Ärmsten der Gesellschaft, wie 1945 in den alten Nazi-Baracken - heute auf entsprechend höherem Niveau - in Billigwohnbauten angesiedelt werden. Aufgraben, zuschütten, überbauen, besiedeln. Die Gebäude wurden und werden auf mit „Altlasten“ (so im Kaufvertrag der Stadt Graz mit Steyr-Daimler-Puch 1945) versehenem, öffentlichen Grund errichtet.

2015 erhielt das Institut für Städtebau an der technischen Universität (DI Ernst Rainer) einen Auftrag vom Wohnungsamt der Stadt Graz zur städtebaulichen Planung des Areals, dabei war in korrekter Weise eine öffentliche Diskussion auch über den historischen Aspekt vorgesehen, die Planung wurde jedoch nie publiziert (3).

2016 wurde ohne jede öffentliche Diskussion und unter Verschwiegenheitspflicht der geladenen Architekten ein Wettbewerb ausgeschrieben. Obwohl die Ergebnisse des Wettbewerbs seit Dez. 2016 vorliegen, wurden sie bis dato offiziell unter Verschluss gehalten, um „Unruhe zu vermeiden.“ Diese noch unter Stadträtin Kahr beschlossene Vorgangsweise entspricht weder demokratischen noch partizipativen Grundsätzen, sondern hatte das Ziel, sowohl BewohnerInnen des Viertels, als auch befasste soziale Einrichtungen von jeglicher Mitsprache auszuschließen. In der im Internet verfügbaren Version des Urteils des Preisgerichtes wird die „Geschichte des Ortes“ mit keinem Wort erwähnt (4).

Selbstbefähigung (enabling), Anwaltschaft (advocating) und Selbstermächtigung (empowerment) als Voraussetzung für Gesundheit (OTTAWA-Charter der Weltgesundheitsorganisation ) (5) - Gesundheitsförderung am Grünanger

Das SMZ – Liebenau hat seit 30 Jahren PatientInnnen am Grünanger medizinisch, psychotherapeutisch, sozialarbeiterisch und mit Hauskrankenpflege betreut, war mit zahlreichen Kriseninterventionen befasst und hat auf wissenschaftlicher Grundlage im Auftrag unterschiedlicher Ressorts der Stadt Graz und des Landes Steiermark Gesundheitsförderungsprojekte und Projekte der Stadteilarbeit, Commmunity-Building und zuletzt Siedlungsbetreuung durchgeführt. Diese Projekte hatten und haben das Ziel, die Bewohnerinnen des Grünangers in ihren sozialen Anliegen zu unterstützen, zu entstigmatisieren und ihre Gesundheit zu fördern. Sie wurden in Kooperation mit lokalen und städtischen Akteuren und Stake-Holdern mit Erfolg durchgeführt (u.a. Polizeiinspektion Liebenau, Hauskrankenpflege, Sozialamt, Wohnungsamt, Amt für Jugend und Familie, Pfarre Graz Süd, Apotheke, Bezirksvorsteher, Caritas, Streetwork, Inst. Kunst im öffentlichen Raum, La-Strada Graz, soziologisches Institut Uni Graz, Fachhochschulen...)

An dieser Stelle muss ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass die BewohnerInnen (u.a. Roma, Jenische), aber auch psychisch Kranke in der Vergangenheit immer wieder dem „Glasscherbenviertel“ zugeordnet und als „Gesindel“ bezeichnet und so diskriminiert wurden.

Seit 2006 betreibt das SMZ eine Außenstelle als „Stadtteilzentrum Grünanger“ – Andersengasse 32 -34, hat einen Gemeinschaftsgarten errichtet und die abgezogene städtische Sozialarbeit des Sozialamtes ersetzt.

Die Projekte des SMZ am Grünanger waren und sind gesundheitswissenschaftlich begründet und beruhen im Wesentlichen auf den Grundsätzen der WHO, wie sie in der „Ottawa-Charter“ formuliert sind:

„Grundlegende Bedingungen und konstituierende Momente von Gesundheit sind Frieden, angemessene Wohnbedingungen, Bildung, Ernährung, Einkommen, ein stabiles Öko-System, eine sorgfältige Verwendung vorhandener Naturressourcen, soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit. Jede Verbesserung des Gesundheitszustandes ist zwangsläufig fest an diese Grundvoraussetzungen gebunden“.

Damit diese Voraussetzungen erhalten bzw. geschaffen werden, ist aktives anwaltschaftliches Verhalten notwendig, darüber hinaus müssen Menschen befähigt werden, ihre gesundheitlichen und sozialen Interessen zu vertreten, so die WHO: “Menschen können ihr Gesundheitspotential nur dann weitestgehend entfalten, wenn sie auf die Faktoren, die ihre Gesundheit beeinflussen, auch Einfluss nehmen können.“

Darüber hinaus hat das SMZ die Projekte entsprechend den Förderrichtlinien des Landes und der Stadt Graz genau dokumentiert, evaluiert und laufend im SMZ-INFO publiziert.

„Das (herkömmliche) Krankheitsmodell nimmt keinen Bezug auf jene komplexen, nicht vorhersehbaren Faktoren wie Geschichte und Politik, die Herausforderungen für Gesundheit darstellen“ (6)

„Um Gesundheit aus einer soziokulturellen Perspektive zu verstehen, muss die Wichtigkeit von Religion, Tradition, Politik, Ökonomie, Geschichte, Ökologie, Technologie und der Wissenschaftsbegriff der Gesellschaft verstanden werden, mit der das Wohlbefinden einer Person beeinflusst wird“ (7,8)

Gesundheitsförderung und Gedenkkultur

Als seit 2011 die besondere historische Situation am Grünanger als NS-Zwangsarbeiterlager und Mordstätte bekannt wurde, war das Tabu des „traumatischen Ortes“ gebrochen und ermöglichte den Bewohnerinnen des Grünangers zum ersten Mal, ihre kollektive persönliche Geschichte auszusprechen. So kamen die entscheidenden Hinweise über NS-Mordopfer aus der Wohnbevölkerung des Grünangers, es tauchten persönliche Fotos aus den unmittelbaren Nachkriegsjahren auf, Jugendliche beteiligten sich an einem Kunstprojekt, ja sogar das Kulturfestival La Strada befasste sich mit der Geschichte des Ortes. Wenn nunmehr das öffentliche Interesse auf den Grünanger gerichtet war, so geschah dies nicht mehr aus Gründen rassistischer und sozialer Diskriminierung der Bewohnerinnen, sondern aus Solidarität mit den Opfern und Abscheu gegenüber den TäterInnen und der Sympathie den Bewohnerinnen gegenüber, die jahrzehntelang Tabus ausgesetzt waren. Dies konnte ihn zahlreichen persönlichen Gesprächen dokumentiert werden.

Wenn die WHO feststellt, dass Menschen ihr Gesundheitspotential nur dann weitestgehend entfalten können, wenn sie auf die Faktoren, die ihre Gesundheit beeinflussen, auch Einfluss nehmen können, so ist auch ausreichend plausibel, dass das kollektive Erinnern und Bewältigen der traumatischen Ereignisse, welches das Gedenken an die Opfer und die Verurteilung der Täter miteinschließt, einen positiven Einfluss auf soziale Interaktion des Kollektivs und auch auf individueller Ebene hat. Auf der Ebene des Individuums ist die Mehrgenerationen-Perspektive in der systemischen Therapie ausreichend begründet:

„Der Blick auf die Rolle der Vorfahren hat in den vergangenen Jahren vor allem das Erbe der Herkunftsfamilien aus dem Dritten Reich erhellt – wir alle sind in der zweiten, dritten und vierten Generation Angehörige von Verfolgten, Vertriebenen oder Tätern. Hier verbergen sich oft ein verschwiegener Schmerz und Trauer, auch verleugnete oder versteckte Schuldgefühle. In vielen Familien hat dies Spuren hinterlassen, und ihre Auswirkungen auf die Kriegs- und Nachkriegskinder und -enkel werden erst seit einigen Jahren öffentlich thematisiert“

https://www.swr.de/swr2/programm/sendungen/wissen/familienbande-vorfahren-in-der-psychotherapie/-/id=660374/did=17258252/nid=660374/8a2rnc/index.html

MR Dr. Rainer Possert

(Obmann)

Anhang: Wissenschaftliche Arbeiten in Zusammenhang mit dem Wohngebiet Grünanger:

"Stadtteilbezogene Gesundheitsförderung. Eine empirische Analyse über eine Maßnahme im Setting Stadtteil: Brunch am Grünanger." (2014 Kerstin Nestelberger)

"Sozialmedizinisches Zentrum Liebenau - gelebtes Konzept gesundheitsförderlicher, interdisziplinärer Primärversorgung im kommunalen Setting" (2013) Annemarie Brunner

"Integrative Gesundheitsversorgung am Beispiel des SMZ Liebenau - Ein Modell für die Zukunft?" (2012) Matthias Urlesberger

"Urbane Problemlagen in den Stadtteilen Schönauviertel und Grünanger" (2009) Studienprojekt "Interdisziplinäre Vertiefung: Gesellschaftliche Strukturen und Prozesse - Stadtsoziologie" Kolbábek Andreas, Neumann-Rieser Birgit, Sammer Markus, Nopp Michaela, Windhaber Agnes, Winkelmayer Carina, Engel Dario, Verlic Mara

"Die organisationalen Potentiale zur Reduktion sozial bedingter gesundheitlicher Ungleichheit durch Maßnahmen der Gesundheitsförderung und Prävention in Österreich.
Ein Handlungsfeld Sozialer Arbeit?" (2009) Christoph Pammer

"Ganz normal eben". Soziokulturelle Aspekte des Alltags von SubstitutionspatientInnen (2006) Dr.in Angela Simone Huber

Raumpotententiale am Grünanger, Diss., Dr.in Saskia Dyk, 2003

Jugend in Liebenau – Eine Analyse der spezifischen Lebenslagen der Jugendlichen in Liebenau (2002)

Gesundheitsbericht Liebenau – Wie gesund ist Liebenau? (2001)

Wohn- und Lebensqualität marginalisierter Bevölkerungsgruppen am Grünanger (2001)

Quellen:

(1) Martin Pollak, Kontaminierte Landschaften. Residenz Verlag, Wien 2014

(2) Aleida Assmann, u. a: Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik. C. H. Beck, München 2006.,

(3) https://online.tugraz.at/tug_online/fdb_detail.ansicht?cvfanr=F35555&cvorgnr=37&sprache=1

(4) https://www.competitionline.com/de/ergebnisse/253067

(5) http://www.who.int/healthpromotion/conferences/previous/ottawa/en/

(6) The disease model does not address the complex, highly unpredictable factors that also create challenges to health, such as history and politics.“ (vgl. Armenakis, Kiefer, 2007)

(7) „Understanding health from a sociocultural perspective means that you factor in the importance of religion, tradition, politics, economics, history, ecology, technology, and a society’s view of science in influencing a person’s well-being.“ (ebd.)

(8) „Settings for health promotion: Linking theory and practice“ unterstreichen die Autoren ebenfalls die Wichtigkeit von geschichtlichen, wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Kontexten und Prozessen. (vgl. Poland, Green, Rootman)

http://smz.at/wie-umgehen-mit-gedaechtnisorten-im-sozialen-kontext.phtml

Wie umgehen mit Gedächtnisorten im sozialen Kontext? Stellungnahme des Sozialmedizinisches Zentrums Liebenau (SMZ) zu baulichen Maßnahmen am Grünanger „Gedächtnisorte verhindern Vergess
SMZ.AT

Volksbegehren

Hier geht es zu den aktuellen Volksbegehren:

 

https://www.bmi.gv.at/411/

welche am Gemeindeamt/Magistrat und über die Handysignatur unterstützt werden können.

Relevantes Volksbegehren für Mobbingbetroffene

Auf das Volksbegehren von

Martin Wabl:

 

"STOP DER PROZESSKOSTENEXPLOSION"

http://www.martinwabl.at/STOP-DER-PROZESSKOSTENEXPLOSION.html

 

wird für Mobbingbetroffene besonders hingewiesen.

Jeder kann etwa nach Mobbing, einem Arbeitskonflikt,  einem Verkehrsunfall, einer Scheidung oder nach einem Verlassenschaftsverfahren mit einem Gerichtsverfahren konfrontiert sein.

 

Daher verdient dieses Volksbegehren, nach Meinung von Mobbingbetroffenen, Ihre

Unterstützung.